Der geschenkte Gaul Vol. 2

Angezogen sieht das besser aus

Die Band spielt “Señorita” von Luis Fonsi. Ich stehe auf einer rot ausgeleuchteten Bühne. Mein Outfit ist … mal was anderes. Ich trage einen wadenlangen, schwarzen Lackledermantel, dazu schwarze Socken. Meine ungekämmten Haare wehen im Luftkanal der Windmaschine, leichter Nebel steigt auf. „Gib mir deine besten Posen, das ist hot“, kräht Heidi Klum aus der Ferne.

Ich mache was mir Deutschlands lauteste Alarmsirene befohlen hat. Mit zwei gezielten Hüftschwüngen, bringe ich mich ans rechte Ende der Bühne, bleibe abrupt stehen und biege mein Kreuz soweit wie möglich nach hinten durch. Meine Rückenwirbel knirschen, ein jeher Schmerz durchzuckt mich, ich halte mir die Hand vor die Augen. „Das ist ja so authentisch“, kräht Heidi. Ja, danke du Henne, denke ich.

Mir ist es egal, was du über mich denkst. Ich denke über dich überhaupt nicht nach.

(Coco Chanel)

Dann tänzele ich zurück zur Bühnenmitte, dort gebe ich die niedliche Audrey Hepburn und lege mein Kinn auf meine darunter positionierten Handrücken, eine äußerst rückenfreundliche Pose. „Sehr elegant“, kommentiert Thomas H., Heidis Mitjuror, „du musst vielleicht noch etwas lasziver schauen, das wär’s doch.“ Na klar, denke ich, unbedingt!

Jetzt noch der Catwalk, davon hängt alles ab, ich weiß nur nicht mehr was. Also gebe ich alles. Locker in den Hüften, wegen der Socken ein wenig plattfüßig, schreite ich hoheitsvoll auf Heidi und Thomas H. zu. Vor ihnen bleibe ich stehen und warte auf mein Todesurteil. „Du weißt ja, es kann nur Eine geben…“, beginnt Heidi ihre einstudierte Rede, doch ich unterbreche sie. „Es tut mir leid, Heidi. ICH HABE HEUTE KEINEN GUTEN GESCHMACK FÜR DICH“, sage ich inbrünstig.

Luxus muß bequem sein, andernfalls ist er nicht Luxus.

(Coco Chanel)

Mit meinen letzten Worten reiße ich mir den Lackledermantel vom Leib und enthülle einen bunt geblümten, mit Leopardenmuster versetzten Volant-Albtraum. Heidi schreit spitz auf, zwei Kameramänner suchen das Weite und Thomas H. liegt ohnmächtig am Fuße seines Barhockers.

Ich wache schweißgebadet auf. Ausgelöst hat diesen Albtraum ein Geschenk meiner Mutter, ein Kleid. Wer mich kennt weiß, ich hasse Kleider. Sie stehen mir nicht. Das kümmert meine Mutter aber nicht, Bloginsider wissen das. Bitte, ich weiß, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Aber wenn meine Mutter ihr Füllhorn über mir ausschüttet, gerate ich oft an meine Grenzen.

Die allermutigste Handlung ist immer noch, selbst zu denken. Laut.

(Coco Chanel)

Ihr müsst wissen, wenn auch alles andere ein böser Traum gewesen war, den bunt geblümten, mit Leopardenmuster versetzten Albtraum gab es wirklich. Das kann Adolf Freiherr von Knigge doch so nicht gewollt haben. Ich habe meine Schränke voller „gut gemeinter“ Geschenke, die meine Mutter mit Leidenschaft fürs Kaufen, nicht fürs Schenken, besorgt hatte. 

Das „Geschenke machen“ ist für meine Mutter eher Zweckerfüllung und das in mehrfacher Hinsicht. Zuerst erfüllt sie damit natürlich ihre sozialen Pflichten. Gemeint sind die gesellschaftlichen Regeln, aufgestellt in den frühen 50ger Jahren. Niemand soll Adelheid Groth nachsagen können, sie vergesse Geburtstage, Jubiläen oder Festtage, auch wenn sie zu diesen nicht eingeladen war. 

Verschwende keine Zeit auf Mauern einzuschlagen, in der Hoffnung sie in eine Tür zu verwandeln. 

(Coco Chanel)

Und da liegt auch schon der Casus Knacksus. Geschenke geben ihr eine wundervolle Möglichkeit, nonverbale Botschaften an den Beschenkten auszusenden. In diesem Fall würde die Botschaft wohl so lauten: „Ihr habt ohne MICH gefeiert? Nehmt das! Ihr seid nur ein Präsent von eurem schlechten Gewissen entfernt.“

Gerade diese kleinen Seitenhiebe scheinen meiner Mutter das Leben erst lebenswert zu machen und wenn man sie dann auch noch exquisit in Glitzerpapier und Seidenschleifen einpacken kann, um so besser. Das Kleid, also eher meine Mutter, hielten mehrere Botschaften für mich parat. Mitteilungen, die sie in regelmäßigen Abständen, mit dem Sendungsbewusstsein eines analogen Newsletters, an mich übermittelte.

Ein gut geschnittenes Kleid steht jeder Frau. Punktum!

(Coco Chanel) 

Es folgt ein Exzerpt, mütterlicher Nachrichtencodes. Eine Frau, liebe Birgit ist erst eine Frau, wenn sie Kleider im Schrank hat und sie auch trägt. Mein Hinweis, dass es sehr selten Kleider geben würde, die zu meiner Größe, meinem Körper und nicht zuletzt auch zu meinem Wohlfühlgefühl passen würden, werden meistens harsch zur Seite gefegt.

„Dann müssen Wir es eben so lange versuchen, bis wir etwas Passendes finden. Du musst es probieren, ANGEZOGEN SIEHT DAS BESSER AUS“, ist einer meiner Favoriten aus ihrem Einwände-Repertoire. Begleitet wird diese Aussage von einem abschätzigen Blick, über meine etwas füllige Figur. In meinem Kopfkino entsteht ein Szenario, in dem ich durch Berge von Stoffballen wate und wimmere: „Neiiiin … bitte, bitte kein Leomuster … Oh Gott, bloß keine Flamingo-Ornamente … habt ihr denn nichts Einfarbiges???“ Kurz, ich habe nein gesagt zu diesem Kleid, was für meine Mutter einer Majestätsbeleidigung gleichkam. Schließlich ist Adelheit Groth so etwas wie die Coco Chanel des Hamburger Nordostens.

Die Reaktion folgte auf dem Fuße. „Du weißt ja gar nicht, was zurzeit Mode ist“, begann sie ihren Monolog. Dieses Kleid sei ein Designerkleid. Diese neue Designerin konnte von ihrem präferierten Shoppingsender gaaanz neu gewonnen werden, die Frau habe Jahrelang die Moderatorinnen von RTL ausgestattet. 

Lebenskunst ist die Kunst des richtigen Weglassens.

Das fängt beim Reden an und endet beim Dekolleté.

(Coco Chanel)

Da stand ich nun und hätte nachgeben können. Ich hätte einfach danke sagen können, den Klump einpacken und bei der nächsten Altkleidersammlung entsorgen können. Aber ich war GENERVT! Und wenn ich genervt bin, bin ich in der Regel nicht mehr fähig, diplomatisch zu reagieren. 

Ich baute mich also in meiner vollen Rüschenpracht vor meiner Mutter auf und fragte sie: „HAST DU JEMALS, IRGENDEINE MODERATORIN VON RTL IN SO ETWAS GESEHEN???“ Meine Mutter runzelte die Stirn, sog hörbar empört die Luft ein, drehte sich um und verschwand, unverständliche Worte murmelnd, in ihrem Schlafzimmer. 

Es sind nicht die Erfolge, aus denen man lernt, sondern die Fiaskos.

(Coco Chanel) 

Kurze Zeit später kam sie zurück und sagte: „Dann werde ich dieses schöne Designerkleid wohl zurückschicken müssen.“ Ich antwortete: „Ja, das solltest du.“ Meine Mutter: „Kannst du das für mich erledigen?“ Ich antwortete: „Nein, das machst du bitte selber.“

Ihr könnt mich jetzt für grob halten, aber das Shoppingkanal-Shoppen hatte sich bei meiner Mutter in der Lockdown-Zeit zu einem richtigen Hobby entwickelt. Anfangs hatte ich die Retouren noch übernommen. Als ich das Gefühl bekam, meine Poststelle würde mich beim nächsten Besuch mit der goldenen Briefmarke von Montreux küren wollen, habe ich den Postbetrieb eingestellt. Aber das wird mit Sicherheit noch einmal eine andere Geschichte…

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