Der geschenkte Gaul Vol. 1

Der Süßigkeiten-Supergau

Ich weiß, ich weiß, der Volksmund sagt, einem geschenkten Gaul solle man nicht ins Maul schauen. So etwas tue man nicht, wenn man gut erzogen worden sei. Nun, ich bin gut und liebevoll erzogen worden, von meinem Vater und wenn irgendetwas doch nicht rund lief, war da ja noch meine Mutter, die mich in meine Schranken weisen konnte. „So etwas tut man nicht, sagt man nicht, denkt man nicht, runter damit!“

Mama

Du sollst doch nicht um deine Tochter weinen

(Heintje Simons, frei interpretiert)

Grundsätzlich versuche ich mich an diesen Grundsatz auch zu halten. In der Regel ist es ja so, dass der Schenkende mir eine Freude machen möchte, allein darüber freue ich mich. Für meine Mutter war das Schenken immer ein kleiner Wettkampf. Wer hat das größte, das teuerste Geschenk, die aufwendigste Verpackung? Nun stand Ostern an und sie trat wieder einmal gegen den Osterhasen an. Ich fragte mich bang, welche Leckereien mich dieses Jahr wohl in meinem Osterkörbchen erwarten würden.

Versteht mich nicht falsch, Süßigkeiten sind etwas wundervoll Verführerisches. Doch wenn ich immer alles verzehren würde, was meine Mutter mir in mein Körbchen wirft, würde ich euch diesen Artikel aus der Ausnüchterungszelle der örtlichen Polizeiwache zukommen lassen müssen.

Irgendwo in fernen Zonen
Liegt ein wunderschönes Land,
Wo nur Sonntagskinder wohnen
Und das keinem sonst bekannt.

(Heintje Simons)

Jedes Jahr vor Weihnachten und Ostern legte meine Mutter uns einen Zettel vor, auf den wir schreiben durften, welche Süßigkeiten wir uns wünschten. Wir setzten uns brav an den Tisch und schrieben auf, mit welchen Leckereien sie uns glücklich machen konnte. 

Jedes Jahr, bekamen meine Mädchen und mein Mann genau das, worum sie sie gebeten hatten. Sie durften sich über Nougat, Schokolade, Spekulatius, Lebkuchen oder geröstete Mandeln freuen. Der Schwiegersohn durfte sich auf seine geliebten Zimtsterne und Linzer Kekse stürzen. Im Übrigen sind alles das Dinge, die ich auch gerne essen würde, was ich so auch schon mehrfach angemerkt hatte.

Mamatschi, schenke mir ein Pferdchen,
Ein Pferdchen wäre mein Paradies,
Mamatschi, solche Pferde wollt ich nicht! 

(Lys Assia/Franz Xaver Kappus 1938)

Ich hatte wirklich alles versucht, von blumigen Umschreibungen, über abfotografierte Bilder von Verpackungen aus dem Supermarkt, die ich dann ausgedruckt dem Zettel beilegte, bis hin zu der Bitte mir doch einfach gar nichts zum Naschen zu schenken. Jede meiner Bemühungen blieb erfolglos.

Vor diesem Osterfest hatte ich wirklich gedacht, ich könne meine Mutter austricksen. Ich schrieb, sie solle mir einfach dieselben Sachen schenken, die sie auch für meine Familie einkaufen würde. Hauptsache die Naschereien seien OHNE Alkohol.

RATET!!!

Richtig! Am Ende durfte ich zwei Schachteln Mon Cherie und eine Schachtel Weinbrandbohnen mein Eigen nennen. Skøl Miss Sophie … same procedure. Ich saß also da, starrte stumpf auf die geballte Portion Promille. „Willst du nicht mal probieren“, fragte meine Mutter ungeduldig. „Nein danke, ich hänge an meinem Führerschein“, antwortete ich gleichmütig. 

Take it easy, baby.

(Birgits Inneres Ooohhmmm, täglich)

Mein Inneres Ooohhmmm hatte derweil den Cocktailshaker rausgeholt und begann damit, Chrushed Ice zu produzieren. „Ach was“, sagte meine Mutter unwirsch, „von dem Bisschen wirst du doch nicht duun.“ Mein Inneres Ooohhmmm tanzte vor Freude im Baströckchen und mixte mir den ersten „Highway to Hell“. Cardriver-Version, natürlich.

Mit diesen Worten bewies sie mir zum wiederholten Male, wie wenig sie mich doch kannte. Ich gehörte nämlich leider nicht zu den Menschen, die sich stolz das Prädikat „Trinkfest“ auf die Brust pinnen durften. Schon in meiner Studentenzeit, war ich immer die Fahrerin. Also diejenige, die ihre haubitzenvollen Kumpels und Kumpelinen nach Hause kutschieren durfte. 

Meiner Feierlaune hatte die Tatsache, dass ich nichts trinken durfte, nie Abbruch getan. Ein, zwei, na vielleicht auch dreimal hatte ich mich nicht an mein Credo gehalten. An eine Begebenheit kann ich mich sogar noch erinnern. Ich zog mit meiner Studienkollegin Katharina durch die Bars der Stadt, bis wir in einem Laden namens „Gestern und Heute“ landeten. Dort tranken wir einen Turbo-Tequila* nach dem anderen. Ob ihr es glaubt oder nicht, ich hatte das Gefühl, nach jedem getrunkenen Glas nüchterner als vorher zu werden.

It’s another tequila sunrise
Starin‘ slowly ‚cross the sky

(Eagles)

Ich glaube, wir haben auch gesungen, was Jochen und Michael aus München auf uns aufmerksam machte. Oder waren es Jürgen und Martin? Ach egal, die Münchner setzten sich zu uns und wir kamen ins Gespräch. Die dem Nord-Süd-Gefälle geschuldeten Sprachbarrieren wurden mit Tequila beiseite gespült. Irgendwie kann ich mich noch schemenhaft daran erinnern, dass wir an die See fahren wollten und mir wurde später erzählt, ich sei gefahren (alles verjährt!). 

Das Nächste, an das ich mich erinnern kann war, dass ich im Morgengrauen in einem Strandkorb wach wurde. Oh, diese Aussicht werde ich niemals vergessen. Ich hatte freie Sicht auf Katharinas nackten Hintern und sah zu, wie sie sich mit dem auch splitterfasernackten JochenJürgen johlend in die eiskalte Ostsee stürzte. Was ich bei JochenJürgen zu sehen bekam, läuft angesichts der kühlen Temperaturen unter „awkward Facts“. Eine Beschreibung dessen erspare ich euch.

Sunrise, sunrise
Looks like mornin‘ in your eyes

(Norah Jones)

Irritiert schaute ich an mir herunter und stellte erleichtert fest, dass ich angezogen war. Ich hielt Ausschau nach MichaelMartin. Der lag, nicht weit entfernt von mir, in einer Sandburg, auch angezogen wohlgemerkt. Er schlief wie ein Baby. Ich ging, noch etwas unsicher auf den Füßen, rüber zu ihm, rüttelte ein bisschen an seiner Schulter und sagte: „Naaaaha, ausgeschlafen?“ MichaelMartin rührte sich nicht. Ich klatschte in die Hände. Nichts. Ich beugte mich über ihn und rief: „Frühstück ist fertig!!!!“ Wieder nichts.

Langsam wurde mir klar, ich hatte MichaelMartin unter den Tisch gesoffen. Schon damals recht krimiaffin, zog ich mit einem Stock eine Linie um meine Schnapsleiche und garnierte das Ganze noch mit ein paar Muscheln. Tatortstyle. Danach ging ich zurück in meinen Strandkorb und dämmerte noch ein wenig vor mich hin. 

Kurz gesagt, die große Liebe ist es nicht geworden damals, weder mit JochenJürgen, noch mit MichaelMartin. Wir eskortierten die zwei Münchner zum örtlichen Bahnhof. Dann verbrachten Katharina und ich fast den ganzen Tag am Strand und gefühlte 30 große Kaffepötte später wagte ich mich wieder ans Steuer und wir fuhren nach Hause.

Doch zurück zu meiner Mutter, die von dieser Geschichte nichts weiß, also bitte Pssssst!

Mama
Und bringt das Leben mir auch Kummer und Schmerz
Dann denk ich nur an dich

(Heintje Simons, frei interpretiert)

Das mit dem Alkohol war irgendwie immer schon ihr Ding gewesen. Selber abstinent, schenkte sie mir zu allen Festtagen, an die ich mich erinnern kann, den obligatorischen Kasten Mon Cherie. Stellt euch eine Siebenjährige vor, die an Weihnachten angeschickert auf dem Sofa sitzt, das Gesicht rot angelaufen wie eine Tomate, mit einem Bluthochdruck, der einem diabetischen 90jährigen alle Ehre gemacht hätte. Spätestens zum Kaffeetrinken, sackte ich nach einem kurzen Blick auf Muttis selbstgemachte Mandarinentorte zur Seite und machte ein Nickerchen.

Aber Heidschi Bumbeidschi es schlafen,
Am Himmel die Schäflein, die braven.

(Heintje Simons, frei interpretiert)

Irgendwann intervenierten mein Vater und meine Großeltern. Das war für mich der erste Moment, an dem ich wahrnahm, dass mit diesem Geschenk irgendetwas nicht in Ordnung war. Hatte meine Mutter mich doch immer animiert, ordentlich zuzulangen. Meine Omi klärte mich dann auf, Alkohol sei nichts für Kinder. Ich solle, so meine Oma, die Pralinen das nächste Mal einfach stehen lassen, egal was meine Mutter dazu sagen würde. 

Dann nahm sie meine Mutter zur Seite und die Beiden hatten eine hitzige Diskussion in der Küche. So wütend hatte ich meine Großmutter vorher noch nie gesehen. An diesem Abend blieb ich nicht zuhause. Meine Großeltern packten mich ein und ich verbrachte die restlichen Weihnachtstage und die Weihnachtsferien bei Oma und Opa.

Wenn wir alle Sonntagskinder wär’n
Würde uns das Glück der Welt gehör’n.

(Heintje Simons)

Als Kind hatte ich mich noch überreden lassen, die Kirschpralinen zu essen. Als Erwachsene tat ich das nicht mehr. Meine Strategie war nicht sehr mutig, aber wirksam. Ich steckte das Zeug einfach lächelnd ein und warf es Zuhause sofort in den Mülleimer. Das ersparte mir unliebsame Diskussionen und ich blieb nüchtern.

Dazu war ich dieses Jahr nicht mehr bereit. Ich stellte die Schwips-Pralinen in Muttis Küche und sagte: „Ich lasse die einfach mal hier bei dir. Das ist purer Alkohol, Gift für meinen Blutdruck. Du willst ja sicherlich nicht, dass mir etwas passiert.“ Ihre Lippen wurden schmal, über ihrer Oberlippe vertieften sich die Fältchen. Die Augen meiner Kinder ruhten gespannt auf ihrer Großmutter. „Nein natürlich nicht, was denkst du denn von mir? Dann schenke ich die eben Frau Vogt von nebenan, DIE freut sich darüber.“

Ich lächelte aufmunternd und dachte, na klar, bring doch einfach deine herzkranke Nachbarin um die Ecke. Und sagte: „Mach das mal, Mutti.“ „Tja“, antwortete meine Mutter, „nun hast du ja gar nichts zum Naschen. Das geht auch nicht. Ich bringe dir was mit, wenn ich nächste Woche bei euch vorbeischaue. Was möchtest du denn jetzt?“

Ich schloss ganz kurz meine Augen und sagte inbrünstig: „Obst, Mama, kauf mir Obst.“ Und nun dürfen wir alle sehr gespannt sein…

Turbo-Tequila*

Tequila in ein kurzes stabiles Becherglas gießen. Mit eisgekühltem Sekt aufgießen. Einen Bierdeckel auf das Glas legen. Das Glas einmal kräftig auf den Tisch klopfen, damit der Sekt aufschäumt. Dann möglichst in einem Zug austrinken. Und niemals nicht Auto fahren, nachdem man das getrunken hat!

4 Gedanken zu “Der geschenkte Gaul Vol. 1

  1. Liebe Birgit, aber Mon Cheri ist doch Obst… da sind immerhin Kirschen drin. Nein, im Ernst, ich habe beim Lesen zwischen herzhaftem Lachen und ungläubigem Weinen geschwankt.
    Aber zu der Zeit nahm, als du Kind warst, nahm man das ja auch noch nicht so ernst mit dem Alkohol. Ich bekam auch des Öfteren „Prapsschnalinen“ (frei nach Känguruh) geschenkt. Allerdings nicht von meiner Mutter, sondern von einer kinderlosen Tante. Ich mochte aber lieber Erfrischungsstäbchen…
    Mon Cheri heißt bei uns übrigens nur „der Wanderpokal“. Wer das geschenkt bekommt, schenkt es grundsätzlich weiter.
    So, und nun bin ich gespannt auf deine Fortsetzung.
    Liebe Grüße
    Anja

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    • Liebe Anja,
      die Erfrischungsstäbchen habe ich auch gekannt, genauso wie Geleebananen. Die Idee mit dem Wanderpokal gefällt mir sehr. Was immer Frau Vogt mit den Prapsschnalienen gemacht hat, sie hat es gut überstanden. Erst gestern habe ich sie beobachtet, wie sie ein paar Blumen im Vorgarten eingepflanzt hat.
      Wie schön, dass du dich auf die Fortsetzung freust, sie ist schon in Arbeit…
      LG Birgit

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