Karneval, die fünfte Jahreszeit … Helau, Alaaf, FischElm!

In Hamburg sagt man nöhööö!

Foto:pixaby

Am 11.11. um 11.oo Uhr passiert bei uns in Hamburg Folgendes … nämlich genau gar nichts! Keine Wilden Weiber, die männlichen Vorgesetzten die Krawatten abschneiden, keine Lebensmittel herumwerfenden Prinzenpaare, keine Karnevalsschlachtrufe die eine ungeschulte Norddeutsche erschauern lassen … abgesehen von …

Da ist ein kleines gallisches …, ähm, Dorf in Schleswig-Holstein, namens Elmenhorst. Dort weht die Karnevalsfahne ganz oben am Mast. Diese norddeutsche Enklave rheinländischen Humorverständnisses pflegt den jährlichen Klamauk mit Hingabe. Das ganze Dorf macht mit. Der ortsansässige Tischler, der Ehemann einer guten Bekannten, zimmert jährlich eine neue Kulisse für die örtliche Turnhalle. 

Man hört so oft, die Blasmusik ist heut nicht mehr modern.
Und trotzdem hör ich sie, halt immer wieder gern.
Denn überall, wo Blechmusik erklingt, ihr lieben Leut,
ja da herrscht Jubel, Trubel, Heiterkeit.

(Ernst Hugo Neger)

Es gibt sechs Garden, für normale Menschen erklärt, das sind die Tanzgruppen des Karnevalsvereins. Da wäre natürlich zuerst die „Prinzengarde“, dann die „Showdancer“, die Männertruppe (!) die „Elephants“, dann die „Alten Schachteln“, die Teeniegarde und zum Schluss noch für die ganz Kleinen die „Tanzmäuse“.

Der Neid muss es ihnen lassen, sie verstehen ihr Handwerk, die gemeinsame Leidenschaft für den Karneval schweißt den Ort zusammen. Doch jedes Mal, wenn ich kurz davor bin, mich infizieren zu lassen, brüllt irgendwer im Saal inbrünstig „FischElm, FischElm, FischElm!!!“, was mich dann wieder zurück in die dröge, norddeutsche Wirklichkeit holt. 

Ja da geht’s Humba Humba Humba Täterä Täterä Täterä
Ja da geht’s Humba Humba Humba Täterä Täterä Täterä
Da ruft der ganze Saal dasselbe noch einmal. 

(Ernst Hugo Neger)

Dabei habe ich durchaus eine genetische Disposition für den Karneval. Meine Omi mütterlicherseits ist eine waschechte Rheinländerin. Geboren und aufgewachsen im schönen Boppard am Rhein, liebte sie den Karneval. Die Umzüge und die Sitzungen gehörten zu ihrem Leben und damit auch zu meinem. Zusammen mit meiner Großmutter sah ich mir die Rosenmontagsumzüge an und ich kenne gefühlt jede im Fernsehen übertragene Karnevalssendung seit 1961. Ernst Hugo Neger, der singende Dachdeckermeister, ist gewissermaßen mein karnevalistischer Patenonkel. In diesem Sinne, „Humba, Humba, Täterä“, Freunde.

Und schießt bei uns der Sportverein am Sonntag mal ein Tor,
steht alles auf ‚m Kopf, denn das kommt selten vor. Dann geht es mit Hipp- Hipp- Hurra ins Dorf vom Fußballplatz,
denn im Vereinslokal gibt’s dann Rabatz.

(Ernst Hugo Neger)

Ich saß mit Oma und Opa im Wohnzimmer auf dem Sofa, wir hatten lustige Papphütchen auf und schunkelten zu den Liedern, die auf der Bühne gesungen wurden. Meine Omi übersetzte mir simultan die Büttenreden von „Professor Knickebein“, „Et Botterblömche“ und der „Doofe Noß“. Ich lernte schnell, dass es laut zugehen durfte, dass man inhaltlich auch mal draufhauen durfte und dass einem das verziehen wurde, weil man das in der sogenannten fünften Jahreszeit gemacht hatte. Insgesamt gesehen gehören diese Erlebnisse mit meinen Großeltern wohl zu den schönsten meiner Kindheit.

Ja da geht’s Humba Humba Humba Täterä Täterä Täterä
Ja da geht’s Humba Humba Humba Täterä Täterä Täterä
Da ruft der ganze Saal dasselbe noch einmal.

(Ernst Hugo Neger)

Doch wie es oft im Leben ist, kann alles das ganz anders auf einen wirken, wenn man älter wird und selber teilnehmen muss an einem solchen Event. Mich ereilte dieses Schicksal während meines Volontariats. Zwei Tage vor dem 11.11. teilte mein Chefredakteur mir mit, man habe mich an die Kollegen der Kölner BILD-Redaktion ausgeliehen. Die fünfte Jahreszeit stünde vor der Tür und die Kollegen bräuchten Unterstützung. In Köln habe man, dankenswerter Weise, seine Verbindungen spielen lassen und mir und Jochen, dem anderen Volontär einen Platz auf dem Wagen einer Karnevalsgesellschaft mit einem für norddeutsche Zungen, unaussprechlichen Namen gesichert. Danke nochmal dafür, Folks.

Ich mööch zo Foos no Kölle jonn
Op d′r Düxerbröck bliev ich stonn
Ming Aure luure üvver d’r Ring
Ich muss ming Stadt, mieh Kölle sinn.

(Micky Brühl Band)

Jochen, ein Bremer, und ich kamen also in Köln an, ausgerüstet wie normale Journalisten. Rucksack, Schreibblock, diverse Stifte und ein Handy. Ein Mann mit einem Bunt angemalten Gesicht kam, schüttelte meine Hand und begrüßte mich mit den Worten: „Morjen Joldfasänsche!“ Dann hieb er dem Jochen seine flache Hand zwischen die Schulterblätter und sagte: „Schfreumisch.“ Wie er uns weiterhin sagte, war er der Norbert, sowas wie der Karnevalsumzugsobmann seiner Gilde. 

Unsere Rucksäcke verfrachteten wir in ein anderes Auto, dass den Umzug begleiten sollte, nur die Handys durften wir einstecken. Den „Schreibkrims“ bräuchten wir sowieso nicht, denn jetzt werde erst einmal gefeiert und wir würden das alles sowieso nicht so schnell vergessen. Wie recht er doch hatte, der Norbert.

He weed mer opjenumme
Jebütz un flöck jedröck
Dat jewwe mir hück
Mit nem Leed zoröck

(Micky Brühl Band)

Es folgt nun eine Schilderung der Geschehnisse durch eine durch und durch norddeutsche Seele:

Der Prunkwagen verdiente seinen Namen, soviel Glitzer hatte ich nicht einmal auf Lady Di’s Hochzeit gesehen. Er war besetzt mit lauter Menschen mit Louis-quinze-Perücken, Frauen in viel zu kurzen Röckchen, die Männer in prächtigen Zarenuniformen mit viel zu viel Lametta. Sie haben Jochen und mich mit Bonbons beworfen … ich weiß bis heute nicht wieso … und immer „Strüssje“ und „Alaaf“ gerufen. Sie waren gar nicht zu bremsen. 

Nach gefühlt drei Sekunden mussten wir Jochen verarzten, weil es ihm nicht gelungen war, sich vor einem heranfliegenden „Strüssje“ wegzuducken und er das Dingens ins offene Auge bekommen hatte. In Ermangelung von Coolpacks hatte Jochen sehr schnell die „Piggolösche“ entdeckt und presste sich eine Flasche aufs lädierte Auge.

Ich mööch zo Foos no Kölle jonn
Op d′r Düxerbröck bliev ich stonn
Ming Aure luure üvver d’r Ring
Ich muss ming Stadt, mieh Kölle sinn.

(Micky Brühl Band)

Gelegentlich packte mich jemand an den Schultern oder an der Hüfte und zwang mich, mit ihm auf und ab zu springen. Ich machte einfach mit und hoffte, dass die zwei Piccolos, die ich inzwischen getrunken hatte, bitte, bitte drinnen bleiben würden. Inzwischen sank die Hemmschwelle auf dem Wagen proportional zum Erregungslevel, der sich unaufhaltsam nach oben arbeitete. Mich haben wildfremde Menschen ungebremst auf den Mund geküsst … immer wieder, volle Kanüle. Das wäre eigentlich einen eigenen Hashtag wert gewesen.

Bunt die Stadt un Minsche,
Ejal woher do küss
Ob du Rich bes oder leider
Nix im Büggel häss

(Micky Brühl Band)

Die Fahrt war vorbei und gedanklich suchte ich nach einem Bahnhof, in dem mich einer der durchfahrenden Züge zurück nach Essen hätte fahren dürfen, denn Jochen, meine Mitfahrgelegenheit war knülle und machte ein kleines Nickerchen. Allerdings meinte Norbert, jetzt ginge es doch erst richtig los. Wenn wir die Vereinsfeier nicht erlebt hätten, dann wüssten wir nichts über den Kölner Karneval.

Jochen wurde wachgerüttelt, er schrak hoch und murmelte verschlafen „Mama, so früh…“, was die Dame, die ihn hinter sich herzog einfach weglachte. Wir wurden in ein Vereinsheim in Festsaalgröße verschleppt und ich musste mit einer Frau namens „Funkenmariechen“ Can-Can tanzen. Nicht dass ich das nicht gekonnt hätte aber da war immer dieses bohrende „warum“ in meinem Hinterkopf.

Leeve un Leeve losse
Dat is he Jrundjesetz
Kumm sing mit uns
Wenn du wenn du jenauso föhls 

(Micky Brühl Band)

Die bunten Leute fanden es übrigens unerträglich, dass der Jochen und ich den Festsaal in Alltagsklamotten betreten hatten. Fünf Frauen, allesamt Gattinnen des Vereinsvorstandes, nahmen sich meiner liebevoll an. Den Jochen hatte ich aus den Augen verloren. Was soll ich sagen, etwa 15 Minuten später, saß ich in einem viel zu kurzen Rock, mit einem Make-up im Gesicht, dass einer Dragqueen auf St. Pauli alle Ehre gemacht hätte, an einem Tisch und beteiligte mich rege an einem lustigen Trinkspiel.

Ja und als der Jochen um die Ecke kam, sah er in seinem gelben Anzug und mit seinem Federhut aus, wie eine etwas misslungene Werbefigur für Chicken-McNuggets. Jochen und ich schlossen an dem Abend Freundschaften fürs Leben, mit Leuten, die wir gleich darauf wieder aus den Augen verloren und versprachen uns gegenseitig, dass keiner von uns den anderen schutzlos in dieser Jecken-Umgebung zurücklassen würde. Wir ließen jegliches norddeutsches Understatement fahren, feierten was das Zeug hielt und tranken dem Verein die Cocktailbar leer.

Ich glaube, ich habe heute noch Restalkohol …

Kleiner Nachtrag:

Jochen und ich durften unseren Rausch in Köln ausschlafen. Wir haben es tatsächlich geschafft, unseren Karnevalsreport rechtzeitig ins Blatt zu heben. Einige Fotos von uns haben wir konfisziert, aus Gründen. Es war unser erster und letzter Originalkarneval. Zwei Tage später waren wir wieder in Kettwig, two siblings in crime, Freunde bis heute. Keiner von uns hat bisher über die Kölner Vorfälle geschrieben … sorry Jochen.

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